Wir befinden uns im Krieg. Nicht direkt wir, aber gleich mehrere unserer Nachbarn.
Gehe ich vor die Tür, hinein in die kristallklare Luft aus dem Osten, den Wind, die gelblich erschimmernden Weiden, das langsam nachwachsende Gras, an dem unsere Ziegen, Schafe und Hühner direkt vor den Jurten rupfen, noch dazu an einem Sonntag, dem ersten mit quasi Ausgangssperre, dann werde ich ein Gefühl nicht los: Tiefer Frieden.
Wie er sonst auch Sonntags nicht ist.
Sonnige Frühjahrssonntage in der Fränkischen Schweiz bedeuten in aller Regel vor allem eins: Gar nicht oder nur schlecht schallgedämpfte Motorräder. Hier und da ein Landwirt, der qua seines Berufsstandes mindestens auf gleicher Höhe mit dem Gesetz steht und uns von seinem himmelhohen Traktor seinen Schweinemist von allen Seiten gegen die Grundstücksgrenzen klatscht (man unterstelle ihm keine Absicht) sobald 1mm Niederschlag angesagt sind. Dazu das glücklicherweise hier nicht extrem laute Anfliegen der Billigflieger auf Nürnberg mit den dazugehörigen Kondensstreifen.
Alles das ist für diesen einen Moment, vielleicht nur für ein paar Tage, Wochen oder aber gar Monate, tatsächlich: vorbei.
Deutschland hat dem Verbrennungsmotor abgeschworen.
Dieser Krieg ist weder heiß noch kalt. Er ist einfach nur viel leiser als der Frieden.
Ich denke dieser Krieg ist eine gute Probe für den Frieden, den wir nach Corona werden finden müssen. Mit uns selbst, unseren Mitmenschen, unserem Ökosystem.
Fuß vom Gas und Leben leben lassen.
Leider scheinen nur wenige andere diesen stillen Morgen auszukosten. Man darf zwar in der Theorie noch raus, es gibt keine einzige Evidenz, die in irgendeiner Weise darauf hinweist, man könne sich bei normalem Zusammensein zwischen Menschen im Freien wirklich mit Covid-19 infizieren. Alle untersuchten Überträgerketten führen Gespräche und engeren Kontakt in geschlossenen Räumen und dergleichen an. Aber kaum jemand macht von diesem Restrecht Gebrauch.
Den Berichten nach haben nicht wenige Bürger aktiv nach härteren Maßnahmen bei der Staatsregierung verlangt, noch bevor man den Effekt – der erst nach Ablauf der Inkubationszeit zu Tage tritt – der Schulschließungen und dergleichen von letzter Woche überhaupt ermessen kann.
Auch das ist Deutschland.
Zur Bekämpfung eines Virus, der alle Mühe haben wird, in der Größenordnung einer durchschnittlichen Grippe mitzuspielen, ist diese Mentalität sicherlich von Vorteil.
Für das längerfristige Überleben einer Demokratie dagegen eher nicht.
Setzt man Söder, Kurz und Co. eine echte Krise vor, machen sie aus der freiheitlich-demokratischen Grundordnung schneller Hackschnitzel, als man Annegret Kramp-Karrenbauer aussprechen kann.
Das wird dieses Mal vermutlich nicht geschehen. Auch die deutschesten unter uns werden kaum in der Masse nach viel härteren Maßnahmen, Sanktionen, Überwachung rufen.
Und natürlich ist es jetzt von Vorteil einen vergleichsweise starken Staat zu haben. Aber wenn ich mir vor Augen führe, dass vor einigen Monaten die Beschaffung von 50 Milliarden Euro für eine nachhaltigere Politik von Herrn Altmeier erfolglos an den privaten Sektor abgetreten wurde, dann muss ich nicht nur staunen, wenn ich lese: 365 Milliarden sind plötzlich kein Problem.
Ich muss dann allerdings auch ein bisschen kotzen.
Nicht weil damit neben vielen Kleinen auch wieder jede Menge teils wenig edle Große gerettet werden, sondern weil dieses Geld auf Jahrzehnte für eine progressive, zukunftsorientierte Politik fehlen wird.
Schon jetzt werden ersten Staatsoberhauptstimmen laut, man solle den Kampf gegen die Klimakrise gleich mit oder unter Corona beerdigen.
Für dieses allein deutsche Geld ließe sich eine von 15 Jahresraten bezahlen, um den weltweiten Hunger zu besiegen.
Eine knappe Milliarde hungert noch.
Jeden Tag sterben 15.000 Kinder unter fünf Jahren. Neben Hunger an schlechtem Wasser, Umweltbelastungen oder unzureichenden Sanitärstandards.
Wo ist das Maß, wenn die gefühlte Mitte irgendwo zwischen den Interessen der obersten paar Prozent einzementiert wurde? Corona-Risikogruppen-Prozente.
Ich darf nicht schreiben, was mir aus dem Klinikum, in dem meine Frau arbeitet, in Sachen Corona so berichtet wird, aber wenn ich dann nur noch mit einem Menschen, der nicht aus meinem Haushalt stammt, bei mindestens 2m Abstand spazieren gehen darf und ansonsten bis zu 25.000€ Buße riskiere, dann sehe ich vor lauter Politik den Sinn und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen nicht.
Was ich zum Glück auch nicht muss. Mein „Haus“ und mein Garten sind auch sonst unter meinen absoluten Lieblingsorten. Lärm- und güllefrei noch viel mehr. (Lieder essen die Leute, wenn man sie einsperrt, aus Frust potenziell noch mehr Schweine – das güllefrei ist also, solange aus dem Shutdown kein Breakdown wird, nur Zufall.)
Ob gleich oder erst später ohne Schweinemast – in jedem Fall sind wir gut beraten, die Löcher, die wir uns jetzt in unser Wirtschaftssystem reißen, mit nachhaltigeren Inhalten zu stopfen als bislang. Dann werden am Ende mehr Menschen gewonnen als verloren haben.
Stark!
Sehr gut beschrieben und klar auf den Punkt gebracht. Die Welt braucht mehr kritisch denkende Menschen.
Viele Grüße aus München.