Warum nochmal soll man gehen, wenn es am schönsten ist? – Warum noch einmal verlässt man eine Jurte, wenn es Sommer wird.

(Fortsetzung von: Wie wir zu den Jurten kamen Teil I)

Nach exakt einem Jahr verlassen wir unsere erste Jurte wieder – waren wir doch eigentlich da gewesen, um den Ausbau der Tenne zu begleiten. Wir übergeben an Jeannes Bruder und ziehen ein bisschen unverständlicherweise selbst für die letzten drei Monate Schweiz in die neue Wohnung. Mitten im Jahrhundertsommer 2015 (der erste der fünf in den letzten fünf Jahren).

In den nächsten Jahren wird es uns wer weiß wohin verschlagen, nur eines werden wir nicht mehr los: Die Erinnerung an dieses nahezu perfekte Jahr und das Auge für den perfekten Jurtenplatz. Sei es im Himalaya, am bayrischen Alpenrand oder dem grünen Patagonien. Die vergangenen zwölf Monate waren kein Abendteuer gewesen, das man einmal macht um hernach davon mit leichtem Schaudern zu erzählen. Es lechzt vielmehr nach Wiederholung.

Meine Rente soll eines Tages aus der Fähigkeit bestehen, noch immer fähig zu sein, in einer Jurte zu leben.

Aber erst einmal sind wir auf einer Hochzeit im nördlichsten, buddhistischen Teil Indiens eingeladen. Hier erleben wir in tradierter Form, was bei uns nicht einmal die krassesten Aussteiger wohl zu leben bereit wären: Für vor allem die Frauen in den hoch gelegenen Gebirgstälern besteht nicht nur der gesamte Alltag aus Kochen, Kindern, Yak-Kot sammeln und dergleichen – alles zu Fuß, keine einzige Maschine im Ort, nur die aggressive Sonne und mitunter Nahrungsmangel im Winter – nein, das gesamte Leben dieser Menschen sieht so aus. Das Nachbartal haben die allermeisten nie gesehen – und werden es wohl auch nie tun.

Der Ort, sofern nicht in Müll gehüllt, ist schön, keine Frage, die Menschen freundlich, die Arbeit, so hart sie ist, wird doch gewissermaßen leicht getragen. In der Gruppe. Wenn mit einem Fußabdruck von weit unter einer Erde leben, dann hier. Aber könnte ich das? Ich habe nicht einmal den Mut mir selbst diese Frage mit ja zu beantworten. Geschweige denn ein Leben dieses Stiles wirklich einmal zu versuchen. Dafür fehlt mir das innere Format.

Jedoch ich soll meinen „Sehnsuchtsort“ – wie mein Vater letztens sagte – zu diesem Zeitpunkt auch erst noch finden.

Wie Alpenvorland nur mit der Magie der relativen Einsamkeit und der Vulkane.

In Südamerika dann springen uns die Orte, an denen man sich mit einer Jurtengemeinschaft in den Schoße einer überdimesionierten Landschaft betten könnte, von überall her an. Ein Kajakcamp am Futaleufu – mit Hüttchen und Tieren und Gärten und Grün überall. Wie ein friedlich pulsierendes Herz aus Mensch in einem Leib aus Natur am Rande dieses Flusses, der auch mich eher hydrophoben Menschen in seinen smaragdgrünen Bann zieht. Oder eine Freundin aus Frankreich, die zusammen mit ihrem Freund in Puerto Natales ein Stück Land am Fjord kaufen will. Nach Westen blickt man in die Berge und zugleich das Meer und immerzu weht der Föhnwind von dort herüber. Oder die grünen Weiden und Weiten, die Seen und vergletscherten Vulkane der Region de los Rios. Mindestens so schön wie der Alpenrand, nur mit 20x oder auch 50x weniger Menschen. Aber Südamerika ist sehr weit weg von fast allen uns lieben Menschen – und sind wir selbst auch mit dem Schiff gekommen – so viel Zeit nehmen sich wenige und wir würden mit einem Umzug in die neue Welt wohl ziemlich viele Interkontinentalflüge „erzwingen“.

Und also suchen wir nach einem knappen Jahr auf Reisen am bayrischen Alpenrand weiter. Nach einem ganzen Leben Schweiz (Jeanne und die Kinder) und knapp zehn Jahren dort (ich) wollen wir Deutschland auf seine Möglichkeiten „testen“, Familie mit Arbeit und unseren Träumen darüber hinaus zu verbinden. Aber der Münchner Süden ist ein Dschungel voller Geld – man kann den Himmel kaum mehr sehen durch das Aktien-Scheine-Blätter-Dach. Klassische Lohnarbeit ist ziemlich harmlos im Vergleich zu Erbe und Vermögen und so bleibt alle Freiheit junger Familien hier relativ zu den Vorzügen der eigenen Geburt. Dazu kommt außerdem die Hürde der Verfügbarkeit – denn zwar gibt es Leerstand, aber wer genug hat, macht sich mitunter gar nicht die Mühe zu vermieten. Oder tut dies zumindest nicht an Familien mit Kindern (geschweigen denn mehrere Familien zusammen). Man könnte das Parkett beschädigen.

Allerdings tun wir nach ein paar Monaten einen Jurtenplatz auf. Lieblich gelegen, aber in Sachen Infrastruktur eine echte Herausforderung: Keine Meldeadresse (sehr unpraktisch mit Kindergartenkindern), kein fließend Wasser, Zufahrt nur bis auf ca. 300m an den Platz heran und dort, wo die Jurte stehen soll, sieht man vor lauter „Fichtengestrüpp“ den Himmel ebenfalls nicht.

Oder erst, als ich ihnen mit der Motorsäge begegne.

Aber Träume bleiben, Träume treiben – und so mache ich an meine erste Jurte. 8m Durchmesser, 4m Fensterfront, 5cm Dämmung. Man könnte es vermessen nennen, mit so einer Größe einzusteigen, aber wer vom Handwerk keine Ahnung hat – wie ich – der schützt sich mittels Ignoranz vor übertriebenem Kleinmut angesichts der Größe des Projekts.

Gut zwei Monate später bin ich fertig, aber wir haben noch immer unseren Bus in Südamerika stehen und erkunden noch einmal ein halbes Jahr diesmal vor allem das Altiplano. Dort oben ist es ebenfalls sehr schön, Jurtenbilder entstehen vor unseren Augen aber höchstens weiter gen Norden – zu unwirtlich sind Klima und Höhe und Winde und Staub auf 4000m.

Idealer Hintergrund für eine weiße Jurte, aber leider auf 4200m. Der Cerro de los 14 Colores in Argentinien.

Wieder zuhause zurück sammelt sich bereits das Jahr 2017 für die herbstlich letzten Atemzüge. Und genau als wir mit dem Aufbau der neuen, großen Jurte beginnen wollen, meldet sich Victor aus den Pyrenäen, dem wir unsere kleine erste Jurte aus der Schweiz geliehen haben, bei uns: Der Bürgermeister würde nach zwei Jahren auf den Abbau drängen. Und da geht dann doch der Kleinmut mit uns durch. Die Generation eins über uns sieht wie einmal allerorts Gefahren für die Durchführbarkeit des Jurtenlebens – und so entschieden wir uns erst einmal dafür, nur die kleine Jurte aufzubauen. Da weiß man, was man macht. Das Fernsehen hat sich angekündigt und bei der neuen, großen Jurte kann ich natürlich auch nicht gleich zu 100% garantieren, dass sich der gesamte Aufbau an nur einem Oktobertag abwickeln lässt.

Am Ende verkaufen wir die große Jurte und nutzen die kleine zusätzlich zur Wohnung meiner Mutter, in der wir auch gemeldet sind. Zwar liegt diese nur ein paar Kilometer entfernt, aber eben im Nachbarlandkreis und damit in einem anderen Schulsprengel. So auch der Kindergarten. Die Jurte wird auf diese Wiese zu einem schönen Wochenendhaus, aber nichts fühlt sich an, wie drei Jahre zuvor. Auch sind die 28m² zu wenig für vier Personen, selbst wenn aufgrund der Hanglage darunter die gleiche Fläche noch einmal als Stauraum zur Verfügung steht.

Mal spielen wir mit Hausbau- oder Kaufgedanken, aber wo? Dann loten wir, wie schon seit Jahren immer wieder, Frankreich aus – oder sollen wir irgendwo versuchen eine Gemeinde zu überreden, eine Jurtengemeinschaft gründen zu dürfen? Die Möglichkeiten sind zu mannigfaltig und zu luftschlosshaft, um sich zu verdichten. Zu wenig Füße für zu wenige Wege. Die Kleinfamilie, die ich als Hausgemeinschaftskind selbst nie gekannt und nie gesucht habe, aber in Ermangelung gleichaltriger und ähnlichartiger Eltern zumindest zwischenzeitlich immer wieder bekommen hatte, rückt in eine unverrückbar enge Nähe. Da hilft nur Mut.

Und ein großer Wurf. Ein Zurück zu den Wurzeln bei gleichzeitiger Unverrückbarkeit der Zeit und der Entwicklungen der Kinder. Ein andrer Ort? Und neue Jurten? Ökologisch aufgewertet, ökonomisch abgespeckt.

Eine Purifikation unserer Träume.

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