Fenster waren nicht immer mit von der Partie.

Jurte traditionell vs. modern

 

Liebe Jurtenliebhaber*innen,

ihr spielt mit dem Gedanken, oder auch dem Gefühl, euch eine „europäische“ Jurte zu bauen, zu leihen oder zu kaufen oder habt dies bereits getan und fragt euch nun, wie ihr mit dem schönen Stück umgehen sollt, auf dass es sein erstaunliches Potenzial leichter zu leben möglichst lange und nachhaltig entfalten kann, ohne dabei unnötig Arbeit und Kosten zu verursachen? Dann habt ihr hier den Versuch eines Leitfadens in der Hand, der über die Geschichte, den Aufbau und die Montage der Jurte, die besonderen Herausforderungen des Jurtenlebens, die Instandhaltung eures Rundzeltes und den Abbau hoffentlich möglichst viele offene Fragen beantwortet.

Wir beziehen uns hierbei explizit auf Jurte.de-Jurten zeitgenössisch-europäischer Bauart, konzipiert für einen standardmäßig ressourcenintensiven, luxusverwöhnten Lebensstil in einem gemäßigten Klima, ohne das Thema Nachhaltigkeit vollständig unter den Kunstfaserteppich aus China zu kehren.

 

Traditionelle Jurten / Gers

Das traditionelle Rundzelt „Jurt(a)“ (Heim/Heimat), beziehungsweise mongolisch Ger (Familie) stammt aus dem zentralasiatischen Hochland, nicht aus den gemäßigten Breiten. Dies hat gute Gründe und eine lange Geschichte. Wie bei fast allen vorglobalisierten Produkten (außer einigen wenigen leicht zu transportierenden, haltbaren Gütern wie z.B. Gewürzen) kam es entscheidend auf das lokale Angebot der Natur und die damit einhergehenden Anforderungen an. Beim Wohnen, dem traditionell schwersten Materialkörper, den wir Menschen zu erschaffen und zu versorgen hatten, galt dies im Besonderen. (Erst heute kann man bereits in wenigen Stunden zumindest als Jurtenbewohner mühelos mehr Tonnen CO2 emittieren, als die eigene Heimstatt wiegt.) In Zentralasien gab es wenig Holz, kaum Ackerland, durch den Menschen dafür aber zumindest Viehherden. Das Klima ist relativ trocken, durch den Wind arid, gerne sehr kalt, aber auch manchmal heiß, mitunter stürmisch und zwang unter anderem aus diesen Gründen die Menschen in einen nomadischen Lebensstil. Das sonst in vielen steinzeitlichen Kulturen jenseits höhlenreicher Gegenden übliche Tipi-Zelt wurde zwischen Anatolien und der Mongolei bereits vor tausenden von Jahren zur Jurte weiterentwickelt, vermutlich aufgrund noch weiterer Faktoren als den uns heute plausibel erscheinenden:

  • geringe Verfügbarkeit von langen, dicken und geraden Bäumen, wie man sie für größere Tipis braucht
  • zu niedrige Temperaturen, um nur mit Häuten und Fellen zu dämmen
  • geringere Raumhöhe, die das Heizen in der Winterkälte erleichtert
  • wenige nicht tierische Dämmmaterialen wie Schilf oder Moos
  • aber ausreichend Verdunstung, um nur mit ungewaschenem (und also wasserabweisenden) Filz zu dämmen
  • hohe Windgeschwindigkeiten
  • häufiger Wohnortwechsel

Scherengitter, die traditionell sehr eng geknüpft werden, sind auch bei minderwertiger Holzqualität wegen ihrer vielen Kreuzverstrebungen sehr stabil gegen sowohl Dachlast als auch bei lateralen Kräften wie vor allem dem Wind. Gleiches gilt für das leidlich geniale Prinzip des Ringankers (Lebensband) mit Dachstangen, die konzentrisch auf den Dachkranz zulaufen, welcher wiederum zusammen mit dem Ringanker dafür sorgt, dass alle Kräfte ideal auf die sehr „holzarme“ Konstruktion abgelastet werden.

Hinter Zugtieren gefilzte Rohwolle ist nicht nur stabil und dämmt gut, sie weist Wasser aufgrund des hohen Fettgehaltes relativ lange ab, saugt sich zudem voll und lässt also nur bei anhaltendem Niederschlag Wasser in den Innenraum durch. Passierte dies dennoch, blieben die Schäden überschaubar, nicht nur weil das Wasser auf die Erde statt auf einen Dielenboden tropfte, sondern vor allem, weil der Perfektionismus materialistischer Ausprägung erst noch zur Volkskrankheit der „entwickelten“ Länder werden sollte. Man wusste schlicht: Schafe schimmeln nicht und Haar ist eine über hunderte von Millionen Jahren bewährte Entwicklung eines „Ökosystem“ genannten Megacomputers, der in der Summe jeder Sekunde Rechenoperationen von einem Umfang durchführt, für den wir ganze Galaxien mit Serverzentren überziehen müssten – mit deren Hilfe wir auch nur wieder ausrechnen könnten, dass das Wunder des Lebens unergründlich, hyperkomplex und jenseits unseres Erkenntnishorizontes liegt.  Soviel zum Thema Jurtendämmung.

Das alles musste alle paar Monate komplett auf Kamele verladen und oft über weite Distanzen umgezogen werden, wobei die Natur am neuen Wohnort wieder kaum etwas zur Verfügung stellen würde und also alles mitgenommen werden musste.

 

„Europäische“ Jurten

So viel zu einigen der möglichen Unterschiede in der Entstehung im Vergleich zu Tipi und Co. Bei eurer Jurte nun handelt es sich aber um keinen Ger (wenn doch, seid ihr hier nicht 100% richtig), sondern um seine europäische Ableitung. (In der Folge werden der Einfachheit halber traditionelle Rundzelte immer wieder als Ger bezeichnet und moderne als Jurte.) Hiermit sind nicht nur ein paar Unterschiede verbunden. Vielmehr sind quasi alle Details anders – auch wenn der Geist der Jurte dies möglichst unbeschadet überstehen sollte.

Fundament

Von unten nach oben. Eine Ger hat keinen Boden und also auch kein Fundament. Sie braucht allerdings einen recht ebenen Platz, um aufgestellt zu werden. Zwar vertragen vor allem Gers mit ihrer weniger präzisen Verarbeitungen auch Bodenwellen unter sich. Aber eben nur in Maßen.

Wir brauchen für unseren Boden aus fertigen Kassetten in Tortenstückform natürlich einen perfekt im Wasser liegenden Unterbau. Beziehungsweise: Solange man das Gefälle nicht mit den baren Füßen spürt, interessiert es nur Menschen mit Wasserwaage. Aber wie immer im Leben (in der Materie) gilt: chaotisch-entropisch wird es ohnehin, wer also genauer plant und arbeitet, bekommt zwar auch kein perfektes Ergebnis, aber doch ein genaueres.

Die Unterkonstruktion für unsere Böden braucht so viele Auflagepunkte wie die Jurte Ecken hat (also Meter Durchmesser mal zwei) plus ein größeres Mittelfundament und ab fünf Meter Durchmesser auch noch einen Ring Fundamente auf halber Strecke zwischen beiden. (Ab zehn Meter vermutlich noch einen weiteren.)

Diese Punkte sollten idealerweise etwa 20cm Durchmesser aufweisen, um etwaige Ungenauigkeiten auszugleichen. Die verschiedenen Weisen, sie zu errichten, werden weiter unten beschrieben.

Boden

Auf die Punktfundamente werden die Tortenstücke gelegt. Diese wurden von uns bereits mit Hilfe von optisch ansprechenden Zwischenlatten und einer Mittelplatte passgenau eingerichtet und müssen nur mit einem Spanngurt verzurrt werden.

Ein Ger steht auf der Erde. Diese wird höchstens mit Teppichen oder Fellen abgedeckt, wirkt aber thermoregulierend in Richtung der ca. 8 Grad Bodentemperatur. Dies ist ein großer Vorteil bei Hitze, denn ein Erdklima ist ja nicht nur kühl, sondern eben auch in einer anderen Weise erfrischend, lebendig, lindernd und dient als natürlicher Frostschutz. Wird ein Rundzelt allerdings beheizt – also auf etwa 20 Grad – dann erweist sich ein klimatischer Erdanschluss als zumindest thermophysischer Nachteil im Vergleich zur Standardlösung einer modernen Jurte: dem aus praktischen Gründen mindestens mit 10cm gedämmten Boden (so hoch sollten die Gerüstbalken der Tortenstücke sein, um nicht spürbar zu schwingen). Natürlich bauen wir auch Böden mit Erdanschluss. Diese ähneln vom Aufbau her dann einer Terrasse und die Dämmung läuft von der Unterkante der Wand weiter vertikal bis auf oder sogar in die Geländekante.

In jedem Fall bewegen wir uns am Ende auf einem strahlenförmig angeordneten Massivholzdielenboden (i.d.R. aus lokaler Kiefer) mit einer vernünftigen Nutzschicht von mindestens einem Zentimeter und folglich dem Potenzial diesen auch bei intensiver Nutzung über die Jahre immer wieder abzuschleifen und ihm damit den unbezahlbaren Vintage-Look aus eigenem darauf gelebtem Leben zu verpassen.

Die in Gers heilige Mitte – früher offene Feuerstelle, heute Ofen und darum herum der Laufweg der anwesenden Geistwesen, den es nicht zu kreuzen gilt – wird bei unseren Jurten von der Mittelplatte gehalten. Diese kann speziell gestaltet oder auch aus anderen Materialien, wie z.B. Stein hergestellt werden.

Gerüst

Scherengitter: Normale Gers mit einer Tür und fünf ca. 160cm hohen Wandelementen verfügen über 81 Dachstangen und folglich ebenso vielen Scherengitter-Knotenpunkte auf der obersten Lage (minus jene über der Tür). Also vermutlich 5 x 15 + 6 (Tür). Die einzelnen Latten sind zum einen krumm, dünn, schief und sehr „wildkantig“, zum anderen sind sie entweder mit Lederriemen, Tierhaaren oder Tiersehnen verbunden. Wir setzen hier auf den Kollateralnutzen einer Forst gewordenen Katastrophe namens Fichten-Monokultur. Diese sterbende Art liefert ideales Bauholz: leicht, gerade, astarm und hell. Verbunden werden sie mit unzerstörbaren Polyesterseilen (oder mit der etwas weicheren Hanf-Alternative) und sind unter Dachstange in der Standardausführung 180cm hoch – wie eben auch hierzulande viele Menschen. (Die Wandhöhe ist letztlich aber beliebig.) Zudem verwenden wir deutlich stärkere Durchmesser, nicht nur wegen der höheren Schneelasten in den gemäßigten Breiten und dem Umstand, dass unsere Dachkränze frei schweben (können), statt wie in der Ger doppelt abgestützt zu sein, sondern auch, weil wir nur gut die Hälfte Dachstangen pro Laufmeter Wand verwenden.

Dachstangen: Unsere Dachstangen bestehen aus ganzen, wenn auch kleinen Bäumen, die bei der Waldpflege ohnehin entnommen werden und sind folglich deutlich bruchfester als ein Kantholz mit vergleichbarem Querschnitt. Zudem fällt dieser Querschnitt mehr als doppelt so groß hoch aus wie in einem vergleichbaren Ger. Die einzelne Stange dürfte folglich mindestens dreimal haltbarer sein. Auch ihre Aufhängung mittels Polyesterseilschlaufe aus recyceltem Material ist der Pferdehaarlösung funktional überlegen.

Dachkranz: Abgerundet wird das frei schwebende Schwerlastendach von einem Dachkranz, der technisch gesehen ebenfalls andere Wege geht als das Rad des Ger. Er ist vor allem in allen Belangen eins: größer. 15cm bis 20cm breit in drei bis vier Lagen von 30mm starken Fichtenbrettern, verleimt und verschraubt bzw. holzverdübelt mit Durchmessern bis über 2m. Was im Ger neuerer Bauart im besten Fall als ein Dachfensterchen von selten über einem Meter Durchmesser durchgeht, und traditionell nur von einem Tuch bedeckt wird, ist bei uns der zentrale Kanal zu Sonne, Mond und Sternen und damit zu einem der zentralen Aspekte menschlicher Wohnqualität: Sonnen-, Mond- und Sternenlicht. Wobei vor allem ersteres einen weiteren fundamentalen Strom weit öffnet: Sonnenenergie. Der Grund, warum unsere Jurten so wenig Heizung brauchen, sind die großen, mehrschaligen Kuppeln, deren konvexe Form das Licht zusätzlich bündelt.

Kuppel

Die Kuppel besteht wie gesagt aus mehrschaligem, hagelsicherem und leider noch nicht recyceltem Acrylglas. Sie sitzt auf einer Kranzerhöhung, die ein stetiges Gefälle und einen fast totalen Schutz vor eindringendem Wasser am Kranz bietet. Sie lässt sich entweder durch unterlegte Abstandshalter oder durch eine Kurbel ausstellen, um sommerlich heiße Luft und Insekten entweichen zu lassen.

Fenster

Auch mit ihren seitlichen Fenstern geht die moderne Jurte einen anderen Weg als der Ger, der klassisch nur über eine nach Süden ausgerichtete, blickdichte Tür verfügt. Hier geht es neben dem Ausblick auch um das schräge Schlaglicht, das entweder ostseitig in der Früh, westseitig am Abend oder im Winter von Süden her in die Jurte fällt und neben dem magischen Effekt von schräg einfallendem, mit Rot getränktem Sonnenlicht vor allem von Osten her wertvolle erste Sonnenenergie in die Jurte lässt. (Wenn dies die Kuppel noch kaum tut.) Morgenmenschen sollten mindestens ein Fenster auf Südost haben.

Wir verbauen in aller Regel gebrauchte Holzfenster in einem genormten, an Wandhöhe und Tortenstückgröße ausgerichteten Fensterkasten, der dem Fenster die nötige Stabilität verleiht, den es sonst in dem für ihn vorgesehen, rigiden Mauerwerk erfährt. Fenster ohne Kastenrahmen tendieren in Jurten unter den Spannungskräften der Wände auf Dauer oder auch schon von Anfang an, schlecht oder gar nicht zu öffnen und zu schließen.

Neben dem Boden sind die Fenster der wichtigste Grund, warum man unsere Jurten nicht auf Kamele verladen kann. Für die Zukunft ist eine Entwicklung von leichten Kastenfenstern auf Basis von recyceltem Plexiglas geplant.

Dämmung

Dämmung entsteht durch stehende Luft. Diesen Effekt erreicht ein Ger über gefilzte Wolle, die durch ihren hohen Anteil an Wolle pro m³ (Filze können bis zu über 100kg/m³ schwer sein) zudem sehr formstabil und „zerrupfungsresistent“ ist. Als schädlings- und schimmelresistenter, zugelassener Dämmstoff vom europäischen Marktführer, wie wir ihn verwenden, gestaltet sich diese Variante aber als preislich nicht gerade günstig. Um trotzdem auf für eine ökologische Nachhaltigkeit sinnvolle U-Werte und ein zugluftloses, kuscheliges Raumklima zu kommen, verwenden wir Schafwollvliese statt Filze. Sie sind letztlich das Gleiche, verfügen auch über eine stärker vernadelte Oberfläche, bestehen aber eben aus mehr Luft und weniger Wolle. Dafür verarbeiten wir sie fest mit dem Innenhimmel aus Biobaumwolle, um ihnen mehr Stabilität und eine schützende Schicht zusätzlich zu verleihen. So können wir Dämmung mit einem Fünftel Gewicht und für einen Bruchteil der Kosten bereitstellen. Zehn Zentimeter sind bei Jurte.de die Untergrenze und nach oben kann in 5cm-Schritten fast beliebig weiter aufgebaut werden.

Zudem bietet diese Technik einige Vorteile beim Aufbau. Ein geschlossener Innenhimmel, wie in Gers und auch einige europäische Jurten aufweisen, verschließt nämlich vor Anbringen der eigentlichen Dämmung bereits den Zugriff von Innen. Die umfangreichen und zudem nicht ganz leichten Rollen, die wir mittels Ösen ganz einfach von innen auf die Dachstangen hängen, müssten im traditionellen Verfahren umständlich von außen angestützt werden. Allerdings lässt sich ein Innenhimmel aus Baumwolle ohne direkt aufgesteppte Dämmung besser reinigen – zumindest im abgebauten Zustand.

(Die Entwicklung von Dämmelementen, die getrennt vom Innenhimmel gehandhabt werden können, ist im Gange.)

Textilien

Wie schon erwähnt, eignen sich Gers technisch aus zwei zentralen Gründen kaum für unser Klima: Die Stabilität des Gerüsts hält Schneelasten unzureichend stand. Und die verwendeten Textilien sind oft nicht dauerhaft wasserdicht und dabei trotzdem atmungsaktiv. Die Dämmung wird so entweder von außen nass oder von innen feucht. Was in Maßen bei behandelten Dämmstoffen wie unseren noch vertretbar ist, kann bei Gers zu Problemen bis hin zu Schimmel führen.

Wir setzen daher auf eine spezialisierte Regenhaut, die quasi wasserdicht (auch ohne Gefälle wasserabweisend) ist und zugleich gut Raumfeuchte abgeben kann. Darüber drapieren wir noch eine Außenhaut, die die Regenhaut vor dem alles zersetzenden UV Licht schützt. So hält erstere bis zu 15 Jahren und das Außentuch aus recyceltem Polyester dank einer besonderen Silberionen-Ausrüstung ebenfalls bis zu fünf Jahren.

Fazit

Dank einer weit besseren Ausstattung an Werkzeugen und Materialien können europäische Jurten nicht nur an unser Klima angepasst gebaut werden, sondern sind sogar ökonomisch konkurrenzfähig (vor allem, wenn man die Kosten durch die Lebenszeit teilt.) Und natürlich ist der Fußabdruck einer regional aus biologischen oder recycelten Rohstoffen produzierten Jurte wesentlich kleiner, als der einer importierten.