Die neue Yoga-Werkstatt-Festzelt-Terrasse

Ein gutes Jahr wohnen wir jetzt hier auf der zuvor blanken, grünen Wiese und wenn Besucher staunend unser Zuhause betreten, muss ich mich aktiv daran erinnern, was sie gerade eben wohl fühlen – denn sie leben und arbeiten ja für gewöhnlich in einem Haus. Bewegen sich in einem Auto. Ernähren sich aus einem Supermarktregal. Kleiden sich in Funktionsplastik.

Die Besucher sehen dann als erstes das Licht – ich sehe die Kinderfingerspuren auf den Fenstern.

Sie spüren die Wärme – ich überschlage die Holzvorräte für den Winter.

Sie hören die Stille – ich höre die beiden Hähne um die Wette krähen und versuche mit den Kindern zu entschieden, wer von beiden in den Topf kommt.

Sie riechen Wollfilz und Holz – ich rieche den offen gelassenen Kompost.

Ihnen schmecken die Gartentomaten – von mir hat längst der Kirschtomatengeist Besitz ergriffen.

Noch kein Besucher hat jemals etwas Vergleichbares gesehen und die Frage der Kinder, wie viele Menschen auf der Welt wohl in einer solchen Triple-Jurte leben, kann ich nur mit „Vielleicht niemand außer uns“ beantworten. Nichtsdestotrotz hat auch unser Tag 24 Stunden, dauert der Sommer auf der Terrasse wegen des Mikroklimas zwar von März bis Oktober, ist darauf jedoch bislang noch jedes Mal ein Winter gefolgt. Gilt auch für unsere Kinder die Schulpflicht und bin auch ich nicht vor Kletterverletzungen gefeit. (Auch wenn der Verzicht auf die Produkte der „Klima-Killer-Kuh“ die generelle Entzündlichkeit des Organismus deutlich verringert.)

Das erste Handyfoto auf einer meiner Seiten 🙂 Und das neue Fenster der Kinder – in drei Stunden in die Wand gewummst.

Alltag ist Alltag. Der Staat erhebt Anspruch auf die Normierung unserer Kinder und gerne auch auf unser Leben. Und doch kann Alltag komplett anders werden. Beziehungsweise das Gefühl, das er in uns hinterlässt. Und die Kraft. Und die Herrlichkeit.

Auch ganz ohne Gott-Gedöns – in Ewigkeit.

Erbarmen! (Gaia zeigt ihre Güte nur denen, die sich nicht gegen sie stellen.)

Uns fällt das Licht im Inneren der Jurten nicht mehr auf im Speziellen. Wir tanken die Energie und die Magie der ersten Sonnenstrahlen bis hin zu mondklaren Nächten oder sternenübersäten Blicken durch die Lichtkuppeln jeden Tag und jede Nacht von neuem auf. Und tragen sie mit uns.

Wir nehmen die atmende Wärme, die die Sonne den Tag über in jeden Winkel der Jurten pflanzt, um des Nachts davon zu zehren, im Vorbeigehen auf. Aber dass wir kein Öl oder Gas und nur sehr wenig Stückholz in unser Treibhaus Erde hinauspusten, hinterlässt trotzdem ein gutes Gefühl von Einigkeit oder Einklang. Man mag es Karma nennen – oder man steigt halt in seinen Cayenne und fährt allein und wie die Hölle uns alle an die Wand. Und in ein paar Jahrtausende klimatischer Hölle.

Für uns ist das Orchester der Regentropfen, das Huftrappeln der Schafe und Ziegen, der mehrstimmige Eierlege-Chor der Hühner und das Sommernachtszirpen der Grillen die natürliche akustische Kulisse – und das Röhren der Feierabend-Landmaschinen, Rasenmäher, Motorradidioten, Modellbauflieger, motorisierten Paraglider, krepierenden Fluglinien und der obligaten Fadensensen eine unschöne Ausnahme von der eigentlichen Ruhe unseres Ökosystems. (Ruhe nicht im Sinne von Stille, sondern von akustischer Harmonie.)

Wo der Kirschtomatengeist wohnt. Schätzungen zufolge haben wir im ersten Jahr auf 20m² und nach einem erdenklichen schlechten Start noch Tomaten im dreistelligen Kilobereich geerntet. Ich habe auf jeden Fall 3 Monate gefühlt nichts anderes gegessen als Rührei, Brot und diverse Tomatengerichte. (Außer natürlich Zucchini.)

Und erst wenn wir mal wieder von Beton und Plastik ummantelt sind, bemerken wir so richtig, was eine atmende Gebäudehülle tatsächlich bedeutet – jenseits der Abwesenheit schlechter Gerüche, abgestandener Luft und sich übergebender Hautporen: Drei Mal seltener Haare waschen, keine ausgetrockneten Atemwege beim Aufwachen, Kleider, die nach den Menschen riechen, die sie trugen und nicht nach den giftigen Baustoffen, zwischen denen sie sich bewegten. Dazu neun Monate im Jahr Sonnenbräune wie sonst nur nach zehn Tagen Bali plus einem Kurzbesuch in Tansania und einem abschließenden Wochenende Sonnenstudio in der Skihalle.

Und zum Verhältnis zwischen Pflanze und Mensch, wie es sein könnte, wäre alles ganz anders, als es auf unserer nach DI-Norm asphaltierten Straße des Kollapses ist, dazu schweigen wir an dieser Stelle. Erkenntnis ist ein rarer Wert und einige der Wege dorthin sind gesellschaftlich verpönt oder sogar verboten.

Nicht dass sich hier noch jemand aus der gesamtgesellschaftlichen Pflicht zum organisierten Ökozid ausklinkt. Schließlich sind wir der einzige systeminterne Machtfaktor, der große Teile selbst des Fundaments zum Einsturz bringen kann und also eine historische Chance, die wir auf keinen Fall missen dürfen! (Sogar die Atmosphäre könnten wir dem Planeten eines Tages vom Leibe reißen und ihm dafür ein Multifunktionsjacke in Übergröße umhängen.)

(Wir können unter allen anderen Weltraumrassen weltraumberühmt für unsere Blindheit werden, aber wir müssen, wollen wir das Ökosystem Erde wirklich gänzlich kollabieren lassen, unbeirrt nach vorne schauen – auch wenn dort alle klar denkenden Menschen Flammen malen – nie darf unser Blick nach rechts oder gar nach links abschweifen. Und schon gar nicht zurück, von wo wir kommen: aus dem Paradies.)

Zwei geschenkte Gäste aus einem sterbenden System: Eine Regenwaldpflanze und ein Indio-Amulett.

Wie dem auch sei, ich würde schon auch mitzerstören, wenn sich Zerstörung nicht so scheiße anfühlen würde und so sterbenslangweilig wäre. Auch ich würde gerne sagen, meine Kinder und Enkel seien mir faktisch egal, aber ich schaue ihnen ja täglich in die Augen (also die Enkel sind in unseren bekannten vier Dimensionen noch unsichtbar) und nehme sie in meine Arme – wie könnte mir die Welt, in der sie leben werden, faktisch egal sein?

(Zur scheinbar stichhaltigen Beantwortung solcher Fragen ist man glaube ich am besten Baby-Boomer und hat Weisheit und Erdöl und Arten mit riesigen Löffeln gefressen.)

Das sind wir alle nicht, die wir hier leben und also können wir uns erlauben, die Welt so zu bauen, wie sie uns gefällt – und wie auch wir der Erde gefallen.

Denn hier liegt die Crux alles menschlichen Schaffens: Es geht nicht mehr darum, was wir erfolgreich transformieren (Arbeit definiert als Transformation der Umwelt), sondern in aller erster Linie, was wir nicht transformieren. Was wir nicht zerstören. Nicht mit unserem menschlichen Tun und Wesen, an dem die Welt aktuell verwest, „beglücken“.

Beziehungsweise geht es darum, mit möglichst wenig und möglichst natürlichem Material, das nach Möglichkeit vor Ort vorkommt, möglichst ausgeglichene Lebensräume für Menschen, Tiere und den ganzen restlichen krepierenden Schmodder zu schaffen.

Was ich seit einem guten Jahr tue, weil auch ich mit dem inneren Stachel des Produktivitätswahns geimpft wurde und so leicht nicht von der Droge Arbeit wegkomme. Und was ich vor allem während der Sommerferien tun konnte, weil nach Monaten des Lockdowns auch mal wieder Luft für den Teil der Familie da war, der den Ausfall unseres ach so resilienten Systems aus ach so gesunden Gerontokraten kompensiert hat.

Blick aus dem Garten auf die neuen Terrassenmöbel, die sich auch zu einem „Day-Bed“ zusammen stellen lassen, auf dem man des Sommers draußen schlafen kann.

Dabei entstanden:

  • Eine 65m²-Plattform aus Bamberger Lärche für Yoga, eine Werkstattjurte oder für Feste mit einem trockenen „Keller“ darunter, der ebenfalls als Werkstatt und Stauraum dient.
  • Aus deren Verschnitt eine Terrassen-Möbel-Garnitur, die sich zu einem Draußen-Bett zusammenstellen lässt.
  • Noch immer zu Teilen aus dem Verschnitt eine Außenküche.
  • Ein Baumhaus und die oben genannte 6,5m Werkstattjurte.
  • Aus deren Stoffverschnitt eine Reihe Tarps für unser Sommerfest.
  • Diverse Stege, Leitern, Garderoben, Ziegenstall-Upgrades und Regale.
  • Eine Mäusesicherung gegen die von unten durch die 13cm dicke Dämmung bisweilen trotz Katze eindringenden Nager.
  • Eine neue Küche mit erweitertem Frischwassersystem.
  • Ein neues Riesenfenster bei den Kindern.
  • Und aus der herausgeschnittenen Wand ein kleiner Badjurten-Anbau mit neuem Kompostklo und einer Dusche.

Natürlich ist es sehr schwer, bei so viel bauen ausschließlich auf Second-Hand-Produkte oder Upcycling zu setzen – Schrauben, Lasuren, Verbundrohre oder kleinere Werkzeuge lassen sich auf diesem Wege nur mit erhöhtem Aufwand organisieren. Alle größeren Dinge wie Spülschüsseln, Teile des Konstruktionsholzes, die „neue“ Duschwanne und sogar das Klo aber haben sich zu einem zweiten Leben bei uns eingefunden. Obwohl es im Sinne der kapitalistisch-konsumistischen Grundverpflichtung viel „besser“ gewesen wäre, das Alte zu verschrotten und Neues zu kaufen.

Und noch ein neuer Mitbewohner aus Spanien. Ein 60 Jahre alter, auf den Stamm zurückgesetzter Olivenbaum, unter dem es sich extrem gut schläft.

Egal. Ich finde ein Klo aus zweiter Hand irgendwie episch.

Es hilft mir, meine Träume mit unserer Wirklichkeit zu fusionieren. Einklang ist ein Gefühl, das sich nicht beschreiben lässt, weil Worte Kinder der Kognition sind, und Gedanken nur ein schwach flimmerndes Widerbild der darunter liegenden Welt. Man nenne es Seele oder wie immer man will – aber man vergesse besser nicht, dass unsere Ratio nur die Spitze eines schmelzenden Eisberges voller Unbehagen ist.

Du bist nicht nur, was du isst. Oder wie du dich kleidest. Du wirst auch, was du bewohnst.

Und da wir „entwickelten“ (eher: ganz fest eingewickelten) Menschen beim Wohnen fast noch mehr auf Abschottung setzen als beim Essen oder der Kleidung, wechselt man schon in der relativ kurzen Zeit eines Jahres auf erschreckend nachhaltige Weise die Fronten im finalen Konflikt unserer Spezies:

Wir gegen unsere Mutter. Homo Sapiens versus das Leben auf Erden.

Zum mitunter großen Missfallen meiner Mitmenschen habe ich mein Lager längst gewählt.

Und also heißt es leider auch für weit über 99% unserer Mitmenschen in der „entwickelten“ Welt: Du gegen die Zukunft meiner Kindeskinder.

Dies ist ein historisches Dilemma, aus dem es nur scheinbar keinen Ausweg gibt – zumindest solange man nicht Augen und Ohren und Nasen und Zungen, Gefühle, Gedanken und unser größtes Sinnesorgan, die Haut, so ein ganz bisschen öffnet und einfach mal probehalber beginnt sich selbst und unsere eigentliche Umwelt wahrzunehmen.

Blick über den Mobilzaun der Ziegen in den Herbstwald hinter Wohnwagen und Kletterwand.

Aber: Auch nur so eine Idee eines Spinners am Rande der Gesellschaft – Drückt einfach auf „Schließen“ oben rechts.

Auf Öffnung folgt weitere Öffnung, auf Schließung dagegen weitere Schließung und Schließung und Schließung und Öffnung erst wieder im Tod. Aber das kennen wir ja. Oder um es mit Käpt’n Peng zu sagen:

„Nee Moment, stopp, das ist zu einfach und zu ausgedacht
Wir werden schon von all den and’ren Weltraumrassen ausgelacht
Als die nichts Checkenden, sich selbst Zerstörenden,
Verrückten, Deprimierten, die nix sehen und nix hören
Die um sich Schlagenden, Verängstigten, Bekloppten
Die vergaßen was sie waren und sich selber ständig foppten
Und sich toppten in der Disziplin der Selbstverarschung.“

Danke Peng!

Was will man mehr?

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