In meiner Schubkarre liegen 75kg Mehl und 25kg Linsen. Nicht weil wir eine Verschärfung der Krise erwarten oder befürchten, sondern zum Beispiel wegen diesem neuen (gebrauchten) Backautomaten und der kreativen Energie darin, die nun immer seltener in kryptische Blogzeilen fließen muss, sondern sich den Weg durch 1001 noch unerprobte Brotrezepte bahnen kann. Oder dem Umstand, dass ich nur mehr per Fahrrad einkaufen gehe, dann aber auch nur einen Standard-Supermarkt vorfinde, mit Kleinstpackungen, dem entsprechenden Müll, kaum Bio-Auswahl, überall maskierte Zombies mit halben Gesichtern, usw. Den üblichen mehr oder minder moralischen Problemen eben, die aus dem Nichts aufzutauchen scheinen, hat man einmal damit begonnen, sich mit der eigenen Bedeutung als Konsument auseinander zu setzen.
Ich denke auch nicht, dass es nennenswert ungesund wäre, etwas anderes zu verbacken, als dieses Vollkornmehl vor mir. Aber es ist einfach reizvoll, weil viel individueller, praktisch, weil immer verfügbar, und letztendlich doch erheblich günstiger als gutes Bio-Brot. Außerdem zählt beim Leistungsklettern jedes Kilo – da macht es durchaus Sinn mit den mannigfaltigen Versprechungen der Weißmehlindustrie vorsichtig umzugehen und seinen eigenen Zugang zum Thema Ernährung zu erarbeiten. Schließlich macht (gutes) Fett nicht fett, sondern vor allem Zucker und seine längerkettigen Verwandten. Aber das weiß man schließlich erst seit gut 40 Jahren und es wurde seitdem erfolgreich „weglobbyiert“.
Ich fahre also meine Schubkarre bergan – 200m sind es bis zu den Jurten – und passiere dabei alle weiteren Stationen einer möglichen zukünftigen Selbstversorgung unserer Zwei-Familien-Gemeinschaft. Zumindest was den Großteil der Lebensmittel anbelangt. Erst die Bienenstöcke links hinter den zwei Gewächshäusern, dann Grasland ohne und schließlich mit Weidezaun. Hier stehen, liegen, springen und fliegen inzwischen 12 Legehennen, ein Hahn, fünf Küken, zwei Schafe, zwei erwachsene und zwei neugeborene Zwergziegen, zwei Baby-Milch-Fleischziegen und meist unsere Katze, die nicht nur gerne so tut, als fräße sie die Küken, sondern die auch die übrige tierische Gesellschaft offensichtlich schätzt. Außerdem haben zwei Hennen sich entschieden zu brüten.
Zurzeit bedeutet das bei unseren sehr verschiedenen, aber durchweg nicht industriellen Hühnerrassen (Italiener, Marans, Blumenhühner, Sussex, Vorwerk, Paduaner und Zwerghühner) gut sechs Eier am Tag. Zudem ab und an einen Hahn im Topf, demnächst vielleicht die beiden Schafe in Wurstform. Auch die Zwergziegenjungen sind Jungs, aber auch unglaublich süß und ausgesprochen beliebt bei den Kindern. In einem Jahr könnten wir zudem auf mehrere Liter Ziegenmilch am Tag, deutlich mehr Eier und Hähnchen, und immer wieder einen größeren männlichen Nachkommen der Ziegen setzen. Viel mehr als unsere kaum-Konsum von Fleisch erfordern würde. Man kann die überzähligen Männchen natürlich auch verschenken, (was wir auch in aller Regel tun), nur ob sie dann weiter ein so schönes Leben leben?
Ist es besser kurz erfüllt zu leben oder lebenslang Nutztier in herkömmlicher Milch-Haltung? (Lebenslang im Sinne von bis ans Ende der Fertilität.)
Neben der Weide und direkt unterhalb und südseitig vor die Terrasse gelagert dann unser Gemüsegarten. Noch wartet ein Großteil der Pflanzen im Inneren auf das Ende des letzten Frostes – insgesamt 200 Tomaten, Gurken, Auberginen, Paprika, u.v.m. – dann aber sollen sie uns zusammen mit den Reben in einen grünen Mantel hüllen, gut erreichbar sein, mit (freilich ungiftigem) Grauwasser gegossen werden und ebenso wie wir in den Jurten von der Südausrichtung und der üppigen Sommerfrankensonne verwöhnt werden.
Bislang finden sich in unserer regional-saisonal-Gemüsekiste alle erdenklichen Wurzelgemüse (manche unter ihnen kenne ich noch immer nicht beim Namen), was die Vorfreude auf den eigenen Anbau noch einmal erheblich befeuert.
Zu guter Letzt die Beerensträucher und Obstbäume, die sich über das gesamte Grundstück verteilen und das Ergebnis eines nun bereits über 30 Jahre währenden Prozesses sind, der sich vermutlich schon damals nicht nur dem Ziel der partiellen Selbstversorgung, sondern vor allem der Schönheit verschrieben hatte.
Und sich diesem weiter verschreiben wird. Wer dergleichen aus Angst vor Kollaps und Krise oder aus Armut tut oder tun muss – wie in vielen Teilen der Erde noch immer und demnächst wohl wieder immer mehr – der wird vermutlich einen anderen Blick auf sein Land, dessen Früchte und Bewohner haben. Und wer es aus konventionell-wirtschaftlichen Interessen tut, wie die hiesige Landwirtschaft, der sieht halt Euros. Aber Euros halten kein ökologisches Gleichgewicht in der Balance. (Wer will es ihnen verdenken in einer Gesellschaft, in der so viele mehr verdienen für viel weniger Arbeit?)
Der Blick von unserer Terrasse herab kann sich Liebe, Zuneigung und Lust erlauben. (Auch, weil Euros in dieser Lebensform eher langsam abfließen.) Das ist ein Privileg und doch nicht automatisch illusorische Träumerei. In diesem von Annäherung geprägten Verhältnis zur Erde ist unsere Spezies groß geworden und nur in diesem Verhältnis zu ihr wird sie alt werden können.
Ecologic Distancing wird zwar im Interesse des materiellen Wohlstandes seit Jahrzehnten von überall her verschrieben, eine Medizin wird dadurch aber nicht daraus.
Der Blick von unserer Terrasse herab fällt über den Garten auf die direkt angrenzende Weide. Es gäbe gute Gründe Angst vor Fliegen zu haben, aber es gibt auch gute Gründe dagegen: Hühner zum Beispiel. Sie fressen alle Proteine, die sie finden. Und sie fangen alles. Steht beim Kaffeetrinken irgendetwas in der Sichtachse zwischen uns und den Tieren, kann ich inzwischen nicht mehr anders, als es wegzuräumen. Das Teleobjektiv liegt immer öfter daneben für die kleinen Momente irdischer Güte im nachmittäglichen Gegenlicht: Eine Reihe Küken greift gratis Fußbodenheizung auf einer Ziege ab. Katze und Ziegenkinder beschnuppern sich Nase an Nase. Barfüßige Kinder mit verfilztem Haar (keine Ahnung, wer die eigentlich waschen müsste) geben Lämmchen die Flasche. Hühner jagen Heuschrecken und Hähne jagen Hühner.
Polyamorös ist ein sperriges Wort für eine unterhaltsame Wirklichkeit.
Als ich versuche, den neuen Stromzaun einzuweihen, der uns ermöglichen soll, auch andere Teile des Grundstücks durch die Tiere frei zu stellen, bricht für unsere beiden zukünftigen Milchziegen Crème und Caramel eine Welt zusammen. Sie sind gewohnt Menschen zu folgen und nahe zu sein, sie kuscheln fast wie Hunde oder Katzen, und jetzt sollen sie akzeptieren, dass ein Schmerz bringendes Netz sie davon trennt. Sie begreifen es nicht, verheddern sich im Zaun, bekommen Schlag um Schlag – ihr Geruch, der sonst irgendwo zwischen Ziegenmilch und Säugling liegt, wird von Stress und Angst geflutet. Wir brechen den Zauntest ab und fragen uns, warum eine Ziege an der Leine anzupflocken verboten ist, solche Schafnetze aber erlaubt. Umsatz wird mit letzteren auf jeden Fall mehr gemacht und im großen Stil anwendbar sind Pflöcke natürlich auch nicht.
Aber es braucht ja auch nicht jeder so einen großen Stil.
Die beiden Ziegen werden wachsen und dann hoffentlich nicht mehr versuchen, durch die Zaunmaschen zu schlüpfen. Bis dahin bleiben sie erst einmal auf ihren 1500m² Stammweide mit stromlosem Weidezaun. Schließlich ist das auch der Ort, an dem sie die Hühner vor Fressfeinden schützen sollen. Hatten wir im Winter noch insgesamt fünf Tiere an den Fuchs verloren, rennen jetzt alle Huftiere aus ihrem Stall zu dem der Hühner, sobald sich etwas rührt. Eine Henne brütet zudem bei den Ziegen und die Küken kuscheln sich neben die Ziegenbabys unter die Wärmelampe.
Mischhaltung mag in industriellem Maßstab schwer umsetzbar sein, aber müssen wir wirklich industrielle Methoden an unseren Mitgeschöpfen applizieren? Es ist ja nicht so, als wären nur wir Menschen fähig Freude zu empfinden und gut zu leben.
Und es ist auch nicht so, als lebten wir besser, wenn wir anderen Lebewesen artgerechtes Leben vorenthalten. Vielmehr hat die Adipositas eine starke Tendenz ihre (und auch unsere!) Kinder zu fressen.
Ist es besser gemästet zu werden oder sich unter fürsorglicher Anleitung der Industrie selbst zu mästen?
Wir entscheiden uns in Ermangelung einer eindeutigen Antwort vorsichtshalber gegen beides und essen alle paar Monate einen durchtrainierten Hahn und täglich Eier mit einer Schale, dass man die Fenster im Landwirtschaftsministerium damit einwerfen könnte. (Was sehr schade um die Eier wäre.)
Natürlich ist es ökonomisch schneller und günstiger im Supermarkt Fake Foods zu kaufen, um sodann zum Beispiel 50 Stunden pro Woche in einer Werbeagentur für ebenjenen Supermarkt Slogans zu entwerfen. Es ist die Art Kreislaufwirtschaft – ökologische, aber auch psychologische Faktoren weitestgehend ausklammernd – auf der unser Wohlstand „beruht“. Nur dass von Ruhe keine Rede sein kann.
Ruhe ist jetzt gerade ein bisschen.
Genauso lange bis es jenen, die vor dem Goldhamsterrad sitzend die Dukaten ernten, gelingt das System wieder bis ans Limit hoch zu pushen. Bleibt nur zu hoffen, dass zumindest einige unter uns nicht werden vergessen können, wie Ruhe sich eigentlich anfühlen kann.
Stell dir vor es ist Kapitalismus und keiner geht hin.
So schrieb ich und tätschelte säckeweise Mehl zu meiner Rechten. Vielleicht allein, weil ich nicht wüsste, was ich mit 100kg Klopapier anstellen sollte und doch nicht auf dieses voluminöse Gefühl der Sicherheit in meiner Schubkarre verzichten wollte.
Sind wir nicht alle ein bisschen Goldhamster?
Bei deinen Worten und den Bildern wird mir ganz warm ums Herz und ich spüre meine tiefe Sehnsucht nach eben solch einem “einfachen”und naturverbundenen Leben.
Pirmin, open a crowdfunding project for a documentary on your lifestyle (and climbing!). I’ll be a supporter for sure.
…or maybe a Netflix©® HD mini-series©® 😛