Der Winterhärtetest in den Jurten war bis auf Sturm Sabine im Januar in erster Linie ein psychologischer. Wie lange ist es schön im Inneren, wenn draußen alles davon zu schlammen droht? Wenn Sonne zu einem rein statistischen Artefakt kurz ausbleibender Bewölkung verkommt und immer nur im Kaltlufttrichter hinter dem letzten Graupelschauer für einen Augenblick durchbricht. Wenn alles nach Süden schreit, aber die deutsche Schulpflicht eben die deutsche Schulpflicht ist.
Es ist die ganze Zeit über schön geblieben bei uns. Trocken zudem – dies ein technischer Test. Warm außerdem. Und in Sabine sind die Jurten auch nicht annähernd an ihre Grenze gekommen. Nicht einmal das Klo ist davongeflogen.
Aus dem Wind aber kommen die mongolischen Rundzelte ja auch. Was sie nicht so gut vertragen, ist schwerer, nasser Schnee – vor allem ohne Wind und also nicht zu Boden geweht.
Zum Glück ist Schnee ebenfalls zu einem meteorologischen Artefakt geworden und wird es immer mehr werden. Ein Grund warum ich unsere Frankenjurten mit einer klassischen Dachneigung und nicht dem von den Schweizer Jurtenbauern bevorzugten steilen Dach ausgeführt habe, welches den Schnee besser abgleiten lässt. (Neben dem geringeren Volumen, der geringeren Mantelfläche und der weniger hoch aufsteigenden Warmluft – alles vor allem beim Heizen große Vorteile.)
Deshalb mache ich mir auch keine Sorgen, als ich die paar Schneeflocken in der Wetterprognose gegen Ende der Faschingsferien sehe. Was auch besser so ist, denn ich bin gar nicht zuhause, sondern am Alpenrand. Und Sorgen, gegen die man nichts unternehmen kann, sind bekanntlich unangenehm. Deshalb habe ich sie nicht und fahre eher zufällig und wegen einer Wahlkampfveranstaltung (die ich heillos verpassen werde) am Donnerstag zurück. Mit einer Tonne Zaunmaterial auf dem Anhänger.
Erst verquatsche ich mich im neuen Bioladen von Freunden und komme nicht so richtig weg, dann sammele ich Jeanne in Nürnberg ein, auch noch einmal eine gute Schlaufe. Da schneit es bereits nicht schlecht. Um den obligatorischen Erlangen-Stau nach Feierabend zu vermeiden, gehen wir noch etwas essen.
Und schon sind wir mitten im Schneesturm.
Von der A9 nach Hause geht es ziemlich hoch und runter – außer man fährt die Schlaufe über Bayreuth. Ausgeschlossen dass wir da unfallfrei passieren werden. Über die A73 und dann durchs Wiesenttal zumindest ist es flach. Unsere einzige Chance auch mit Hänger, ordentlich Achslast und Vorderradantrieb trotzdem noch zu den Jurten zu kommen. Wenn da nicht die Bäume wären.
Dass diese gleich reihenweise unter der Schneelast kollabieren, nachdem sie den diversen Stürmen der letzten Wochen standgehalten hatten, hätte ich nicht gedacht. Aber schon liegt der erste bei Beringersmühle im Weg. Unpassierbar, wenn man keine Motorsäge hat. Ich habe keine. Die Feuerwehr schon und lange lässt nicht auf sich warten.
Baum Nummer zwei materialisiert sich erst derart spät aus dem Schneegestöber heraus, dass es unmöglich ist, in den 10cm Weiß auf der Straße noch zu bremsen. Die eine Tonne hinter uns schiebt uns erst voll in die Ausläufer der liegenden Krone hinein und dann direkt durch sie hindurch. Das Auto überlebt – die Scheinwerfer auch. Wir lachen.
Vor dem dritten Baum warnt uns ein BMW-Fahrer, der sich die Seite an den Ästen zerkratzt hat. So breit sind wir natürlich nicht und drücken uns vorbei. Dann ist der Weg quasi frei. Sogar den kleinen Anstieg hinauf in unser Dorf ziehen wir den Hänger noch hoch.
Soweit zur Arbeit fossiler Brennstoffe.
In der Folge wird es körperlich.
Normalerweise kann ich den Kranz der Jurte im Stehen problemlos anheben, jetzt haben wir wohl mehrere hundert Kilo Schnee in einer bis zu 25cm dicken Schicht auf dem Dach und keinen Zentimeter stemme ich den Kranz noch an.
Und genau hier liegt eines der letzten Konstruktionsprobleme unserer Jurten. Der Kranz kann bis zu einem gewissen Grad kippen. Bislang auch bei Böen bis 100km/h ohne Relevanz, ist auch jetzt nur die Kuppel einer der drei Jurten in Schieflage geraten. Es sieht vermutlich freakiger aus, als es ist, trotzdem heißt die Divise der späten Stunde (halb elf) angesichts weiteren Schneefalls: Abschneien.
Tatsächlich schneie ich im dritten Jurtenwinter meines Lebens zum ersten Mal ein Jurtendach ab. Das liegt neben der Dachneigung vor allem an der Dicke der Dämmung. Die 2cm Filz unserer alten Jurte sorgten immer für rasches Schmelzen im Dach. Die 13cm jetzt lassen das Dach kälter als den Boden werden – interessante Entdeckung einer Untersuchung der Jurten mittels einer Wärmebildkamera.
Es liegt also auf den drei Dächern der Schnee höher als am Boden und weil ich mit diesem plötzlichen Winter so nie gerechnet hätte, habe ich auch kein Gerät zum Schnee herunterziehen gebaut. So bleiben nur Stehleiter und Rechen. Und der sehr direkte Austausch mit diesem sterbenden Element. Im Kragen, in den Schuhen – zweimal falle ich von der wackeligen Leiter. Dann liegen dort, wo ich angefangen hatte, schon wieder fünf Zentimeter Neuschnee.
Geschenkt. Schließlich hört es in der Folge tatsächlich auf zu schneien.
Zwei Tage später ist der Winterzauber schon wieder gänzlich zu noch mehr Schlamm verhallt.
Alle Tests der harten Jahreszeit sind bestanden. Außer der psychologische. Das Harren auf Frühling und Sonne geht auch nach dem Schneesturm nahtlos weiter. Dass die Sonne inzwischen gar nicht mehr vor den Fenstern der Mitteljurte aufgeht, sondern bereits ein gutes Stück links, habe ich vollkommen verpasst.
Einfach weil die Sonne seit zwei Wochen nie sichtbar aufgegangen ist.
Aber was hilft das Lamentieren, dies sind die Winter der Zukunft. Stellen wir uns darauf ein!