Bis Ende Februar einziger halber Schneetag des Winters. Gelegenheit, auf dem Raketenofen Spiegelei zu braten.

Als ich vor Kurzem einmal wieder mit dem amerikanischen Bundesstaat New Hampshire in indirekten Kontakt kam – wohl wegen der Vorwahlen oder vielleicht auch der Opioid-Epidemie – stolperte ich nicht nur über Bilder des Winters an der Grenze zu Kanada, sondern außerdem über den Namen der Stadt Concorde. Der Ort, von dem Henry David Thoreau, einst – in der Mitte des 19. Jh. – aufbrach, sich eine Hütte mitten im Wald zu bauen. Und damit damals zwangsläufig des Winters auch mitten im Schnee.

Es muss bald 20 Jahre her sein, dass ich sein Buch – Walden – darüber gelesen habe, aber die Bilder sind mir geblieben. Und das Gefühl. Allein in den Wäldern, in den Händen der Natur überall, am Ufer des Teiches. Brennholz schlagen im Schnee. Die Kälte. Die Dicke des Eises.

Und die Fische darunter.

Zusammen mit anderen Werken eines Lebens in der Wildnis – lustigerweise fast alles angelsächsische Literatur und nicht etwa Lateinamerikanische, wie es sie auf diesem Feld ja ebenfalls in üppigem Umfang gibt – ist in meinem damals noch jugendlichen Geist eine Fantasie geblieben. Ihr Grundton ließe sich vielleicht am besten mit der Wahrnehmung von frostigem Wind steil im Gesicht, durchsetzt mit Schneeflocken, Stille darum herum und die Einsamkeit, Rauheit unseres Lebens, fernab allen Schutzes, mit der Kälte des Weltalls beschreiben.

Die Fantasie ist geblieben. Und sie hat sich mit Leben gefüllt. Natürlich mit Eindrücken von unterwegs, mit Skitouren in den Alpen, mit Hüttenwochenenden im Schnee, mit klirrenden Nächten in katalonischen Höhlen, die heiße Kaffeekanne zum Frühstück zwischen die Schenkel geklemmt, um den Begriff für das Konzept der Wärme nicht zu verlieren, trotz dem immer schneidenden Wind. Mit Nächten aus vielleicht längst erloschenem, gewissermaßen mutterseelenallein durch das Weltall eilendem Sternenlicht unter dem grenzenlosen Himmel des Altiplano. Mit dem Campo de Hielo hinter Fitz Roy und Cerro Torre im südlichsten Patagonien. Viel ewiger ist Eis wohl nicht vorstellbar.

Man kann sein Schmelzen mit bloßem Auge nicht sehen.

Die Fantasie ist geblieben und hat sich gefüllt mit Elementen, die nicht nur aus Ausnahmezuständen des Unterwegsseins bestehen, sondern aus Alltag. Dem Leben in zersiedelten, gemäßigten Breiten. In der Schweiz und jetzt in Deutschland. In Jurten.

Sternenpuzzles, die durch die Dachkuppeln ins Innere dringen, Raureifkristalle, die über Tage des Frostes auf dem Terrassengeländer höher wachsen, gefrorener Nachtwind beim Gang in die Büsche, Kühlschrank, wo immer du bist, und Holz, Holz, Holz gegen die Kälte.

Ein bisschen wie Henry David Thoreau. Nur mit Familie und nicht gar so viel Aussteigertum.

Und – leider – trotz der oben geschilderten Kältebilder, im Grunde auch ohne diese verschwindende Jahreszeit aus Wildheit und Härte.

Dem Winter.

Er flackerte durch, auch dieses Jahr, aber es ist wohl das Flackern der Flamme, bevor sie erlischt.

Er wird mir fehlen.

Geblieben sind Herbst und Nässe und Stürme und Schlamm. Von November bis hoffentlich nicht länger als März. Eine Orgie aus milder-Meeresluft-Tiefdruck. Und warten darauf, dass es anders wird.

Wenn ich des morgens meine Tochter mit dem Rad in die Kita fahre, auf dem Feldweg über dem vielleicht leicht gefrorenen Matsch und den Pfützen ein Hauch von Neuschnee liegt, dann kommen noch immer die Bilder hoch, aus der Hütte im Wald bei Concorde. Und für ein paar Augenblicke meine ich die Fantasiebilder nicht zu verlieren.

Und dann kommt der Regen. Auf der Rückfahrt ist der Schnee längst Vergangenheit.

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